Standortbestimmung 2024

Lebensmittelrettung zugunsten der Armen in unserer Gesellschaft

 

Die Schwäbische Tafel wurde 1995 als eingetragener Verein gegründet. Im Jahr 2023 wurde die Satzung seitens des Vorstands gründlich überarbeitet und von der Mitgliederversammlung am 28.06.2023 beschlossen. Der Prozess der Satzungsrevision hat vielfältige Fragen und Diskussionen über Sinn und Zweck der Tafeln in unserer heutigen Zeit aufgeworfen, auch angesichts der viel-fältigen Krisen dieser Welt und der damit verbundenen Zunahme von Armut. So ist es naheliegend, ausgehend von dem Prozess der Satzungsrevision sowie der Klausur des Vorstands im März 2024, eine aktuelle Standortbestimmung abzuleiten, die den Blick auf die aktuellen Herausforderungen der Schwäbischen Tafel richtet, den Rahmen ihrer Möglichkeiten absteckt und daraus ihre Kernaufgaben definiert. Die Kernaufgaben des Vereins entsprechen dem Vereinszweck, es ist vornehmliche Aufgabe des Vorstands, die in der Satzung bestimmten Zwecke zu verfolgen.

 

Bekanntermaßen verbindet die Tafel-Idee zwei wesentliche Ziele: auf Spendenbasis akquirierte Nahrungs- und Lebensmittel werden nachweislich berechtigten hilfebedürftigen Personen zur Verfügung gestellt. Die damit verbundenen Maßnahmen wirken der Nahrungs- und Lebensmittelverschwendung entgegen und leisten einen wesentlichen Beitrag im Rahmen der inzwischen stark aufgefächerten Lebensmittelretter-Bewegung. Wir sehen darin einen aktiven Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz sowie zur Armutsbekämpfung.

Hinzu kommt bei der Schwäbischen Tafel ein weiteres wesentliches Ziel: Die Eröffnung von Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe, indem die Läden und Betriebsstätten des Vereins auch Orte der Begegnung sind und Raum schaffen für ehrenamtliches Engagement und eine Mitarbeit von Menschen, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt zeitweilig oder dauerhaft erschwert ist.

 

Die Akquisition von Nahrungs- und Lebensmitteln hat sich im Laufe der Zeit verändert: Die regionalen Spenden insbesondere von Lebensmittelmärkten nehmen zunehmend ab, die sogenannten Großspenden von überregionalen Produzenten und Händlern nehmen zu und betragen derzeit etwa 60 % des gesamten Spendenaufkommens. Die Warenbeschaffung auf Spendenbasis wird somit täglich zu einer logistischen Herausforderung, deren Bewältigung nur deswegen gelingt, weil sachverständiges Personal und ein entsprechender Fuhrpark zu Verfügung steht. Die Schwäbische Tafel ist zudem eine sogenannte Verteiler-Tafel, die aufgrund ihrer Möglichkeiten 22 andere Tafeln in der Region mit Lebensmitteln beliefert. Im Logistikzentrum der Schwäbischen Tafel werden täglich etwa 40 Tonnen gespendete Lebensmittel umgeschlagen, etwa 5 Tonnen Bio- und Restmüll müssen entsorgt werden - im Rahmen der Lebensmittelrettung sind dies enorme Mengen.

 

Die Schwäbische Tafel unterhält und betreibt 4 Läden, ein Logistik- und Verwaltungszentrum so-wie eine zusätzliche Lagerhalle. Das Besondere bei der Schwäbischen Tafel war und ist auch heute noch die Ladenidee: Die bedürftigen Personen sollen auch mit ihren geringen finanziellen Mitteln im Tafelladen selbst entscheiden können, was sie einkaufen möchten. Sie sollen Kunden sein und nicht Almosenempfänger. Daher ist uns auch sehr daran gelegen, dass die Tafelläden hinsichtlich ihrer Größe und Ausstattung eine möglichst ansprechende Einkaufssituation ermöglichen und die Mitarbeitenden über einen akzeptablen Arbeitsplatz verfügen. In Bad Cannstatt (Steinhaldenfeld), Möhringen und Fellbach haben wir dieses Ziel bereits erreicht, für den Laden in Stuttgart-Mitte sind wir noch in Verbindung mit der Stadtverwaltung auf der Suche nach einer Ersatzlösung.

 

Der Warentransport erfolgt mit 21 Transportern und einem Lastkraftwagen. Acht Transporter sind mit Kühlaggregaten ausgestattet. Die betriebliche Administration der Betriebsstätten und des Fuhrparks ist verwaltungstechnisch aufwendig und erfordert unter anderem die Beachtung und Befolgung vielfältiger Bestimmungen hinsichtlich des Brandschutzes, der Arbeitsschutzes, der Lebensmittelhygiene, der Verkehrssicherheit usw. Die Schwäbische Tafel zählt täglich etwa 2.500 Kunden, wobei insbesondere seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Anzahl der Kunden in unseren vier Tafelläden extrem gestiegen ist.

 

Um den Betrieb der Schwäbischen Tafel in seiner bestehenden Form aufrecht zu erhalten, ist ständig eine große Anzahl von Mitarbeitenden erforderlich. Neben 20 Hauptamtlichen sind dies derzeit etwa 170 Maßnahmeteilnehmende (v.a. Arbeitsgelegenheiten, Teilhabe am Arbeitsleben, Arbeit statt Strafe) und etwa 185 Ehrenamtliche mit ganz unterschiedlichen persönlichen und wirtschaftlichen Hintergründen und Zeiteinsätzen. Etwa 1/3 der Ehrenamtlichen sind im herkömmlichen Sinn der Bürgerlichen Mitte zuzurechnen, 2/3 davon kommen aus dem Kreis der ehe-maligen Maßnahmeteilnehmenden und gehören aufgrund ihres geringen Einkommens in der Regel selbst zu den Kunden der Schwäbischen Tafel. Im Rahmen der Schwäbischen Tafel ist es also durchaus normal, dass z.B. eine Verwaltungsangestellte und ein Teilnehmender des Programms ‚Arbeit statt Strafe‘ zusammenarbeiten, sich kennenlernen und austauschen. Oft ist von der ‚Tafel-Familie‘ die Rede, die keine Berührungsängste und Ausgrenzung kennt, wo Herkunft und Status keine Rolle spielen, wo gegenseitige Wertschätzung und das gemeinsame und sinnstiftende Tun im Vordergrund steht. Inzwischen ist es auch eine gute Tradition, dass viele Firmen und andere Gruppen einen Social Day bei der Schwäbischen Tafel absolvieren, Schüler gern ihr soziales Praktikum - auch hierbei entstehen vielfältige Orte der Begegnung.

 

Die Schwäbische Tafel Stuttgart ist Mitglied im Landes- und Bundesverband der Tafeln und kooperiert im Rahmen ihrer Satzung auf lokaler Ebene mit Wohlfahrtseinrichtungen, Kirchen und unterschiedlichen Initiativen. Mit den Tafeln in der Region besteht ein reger Austausch, in unregelmäßigen Abständen finden Gespräche mit Vertretern der Stuttgarter Foodsharing-Szene statt, die von der Schwäbischen Tafel auch mit der Abgabe überschüssiger Waren unterstützt wird. Die Schwäbische Tafel Stuttgart versteht sich als sozialer Akteur in der Stadtgesellschaft und pflegt regelmäßige Kontakte zur kommunalen Verwaltung und zu Mitgliedern des Gemeinderats.

 

Mit der Beschreibung der Kernaufgaben ist keineswegs das ganze Spektrum an organisatorischen, kaufmännischen und betrieblichen Arbeiten beschrieben. Es gibt noch die vielen kleinen und größeren Aufgaben, die mit dem Betrieb der Schwäbischen Tafel verbunden sind. Bislang nicht er-wähnt, aber dennoch sehr bedeutsam, ist das gesamte Personalwesen, das auch die Einsatzplanung der insgesamt etwa 385 aktiv Mitarbeitenden sowie die Gewinnung von Ehrenamtlichen beinhaltet. Die Gesamtheit der Aufgaben konnte bislang nur bewältigt werden, da Mitarbeiterschaft und Vorstand hochmotiviert sind und die Projektleitung über ausgezeichnete Professionalität und Sachkenntnis verfügt. Für alle beteiligten Akteure in der operativen Arbeit der Schwäbischen Tafel sind die alltäglichen Herausforderungen groß und oftmals ist die Belastungsgrenze erreicht. Alle Akteure innerhalb der Schwäbischen Tafel sind sich aber einig, dass die Kernaufgaben des Vereins (Lebensmittelrettung, Armutsbekämpfung, soziale Teilhabe) weiterhin und ungeschmälert fester Bestandteil der Vereinsarbeit bleiben sollen. Voraussetzung hierfür ist, dass wir weiterhin über genügend Ressourcen verfügen, um die Kunden der Schwäbischen Tafel mit ausreichend Lebensmitteln zu versorgen: wir sind auf Waren-, Zeit- und Geldspenden angewiesen.

 

Die Landschaft rund um das Thema Lebensmittelrettung hat sich in den letzten Jahren auch in Stuttgart sehr dynamisch entwickelt, es sind vielfältige Initiativen und Projekte entstanden. Die Schwäbische Tafel versteht sich mit ihrem spezifischen Ansatz auch als Teil dieser Bewegung, wo-bei die unterschiedlichen Ansätze, Angebote und Aktivitäten für sich allein betrachtet ihre Berechtigung und Wertigkeit haben. Eine Angleichung oder Vermischung der einzelnen Ansätze ist aus unserer Sicht aber nicht geboten. Eine größere Auswahl an Initiativen, Projekten und Aktionen ermöglicht es den Nutzern, das für sie passende Angebot aus einer breiten Palette von Optionen auszuwählen. Kooperationen oder gemeinsame Aktionen sind aus Sicht der Schwäbischen Tafel aber durchaus sinnvoll und möglich, insofern die Inhalte mit unserem Ansatz vereinbar und keine zusätzlichen personellen und finanziellen Ressourcen erforderlich sind.

 

Gelegentlich werden die Läden der Schwäbischen Tafel, genauer: die langen Kundenschlangen vor den Läden, als Zumutung und stigmatisierend empfunden. Und die Kunden der Tafeln sind allesamt arm, jedenfalls wirtschaftlich hilfebedürftig. Wir sind aber der Meinung: Die Armut in unserer Gesellschaft ist die eigentliche Zumutung, nicht die Läden der Tafel. Umso mehr möchten wir unseren Ansatz hervorheben und betonen: Lebensmittelrettung zugunsten der Armen in unserer Gesellschaft!

 

Schwäbische Tafel Stuttgart e.V.

Vorstand

11.04.2024

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